Wer ist Manfred?
Thierry Mugler ist für Tattooistas nicht nur dadurch interessant, dass für ihn der sogenannte „Zombie Boy“ über den Laufsteg lief. Ganzkörpertätowiert. Thierry Mugler ist ein Meister der körperlichen Transformation. In seinen Kreationen, und in seinem leiblichen Selbst. Vor nicht allzu langer Zeit entschied er sich, sich von einem dünnen französischen Modegenie zu einem beleibten Berliner Bodybuilder namens „Manfred“ umzubilden. Steroide und Botox inclusive. Der Körper als Leinwand für den künstlerischen Gestus und Genuss. Seine Parfümkreation nennt Mugler „Alien“ – „Fremd, Ausserirdisch“. Von „Too Funky“, dem Musikvideo für George Michael, existieren zwei Versionen. In der von Thierry Mugler erscheint am Ende der Rücken des Models John Francis. Dort sind die Worte „We Must Protect Ourselves“ tätowiert; die dann auf der Brust fortsetzen: „Even From The Ones We Love.“ Individualität extrem.
Tätowierungen sind auch ein Mittel, sich „anders“ darzustellen. Aufregender, exklusiver und ästhetischer. Die Frage bleibt, wie weit und wie intensiv möchte ein Mensch in seiner Selbstdarstellung gehen – so dass er nicht verloren geht. Und die Frage: „Wer ist Manfred“?
Der Körper als Fläche, die totale Ästhetisierung seiner Selbst, all das passt ganz wunderbar zu Thierry Muglers Kunst und Mode. Vorher inszenierte Mugler den Körperkult der 90ies, mit Kleidung, die er u.a. aus Latex, Aluminium und Leder fertigte. Sie verliehen der nackten Haut den nötigen Pfiff. Amazonen, Cyborgs und Superfrauen entstanden. Modeschöpfer waren in dieser Zeit allgegenwärtig und allmächtig. Zeitgeist-Gestalter. Gaultier mit Madonna, Mugler mit Georg Michel. Sexy, Sex und SM. Bis der Zeitgeist zum Zombie wurde. „Zombie Boy“ starb durch eigene Hand 2018. Setzte der Frei-Tod des „Zombie Boy“ der Feier der Körperlichkeit ein Ende?
Nein! Aber er steht für eine Warnung, dass man es mit der Verfremdung zu weit treiben kann. Dass man die körperliche Transformation zu ernst nimmt, und dabei übersieht, dass es stets ein Spiel bleiben soll und muß. Ein Spiel der Verführung. Fetische und Darkrooms bedeuten in diesem Fall keine Obsession, sondern ein lustvolles Spiel. Mugler ist so ein „spielerischer“ Paradiesvogel. Daran erinnert die Ausstellung „Couturissime“, die zur Zeit noch in der Kunsthalle München zu besuchen ist, besonders. Nach den „düsteren“ Vorräumen, die die Ausstellung sofort „in Fahrt“ bringen (mit Fahrzeugelementen an den Korsagen und glänzenden Blechmasken für die Damen), kommt der Besucher in den großen Raum der Verführung.
Mugler zitiert dort in seinen modischen Kreationen die Verfahrensweise der Tierwelt, wenn es darum geht den Partner sexuell zu beeindrucken. Wenn man tierischen Sex genauer unter die Lupe nimmt, wird klar, dass es sich dabei keineswegs um langweiligen “Blümchensex” handelt. Sex im Tierreich ist aufregend und spannend, manchmal aber auch eigenartig und bizarr. Wie geschaffen für den Künstler Mugler. Prächtige Federkleidung, Hörner, farbige Schuppen, all das und viel mehr. Weinbergschnecken schiessen dem Partner sogar einen Liebespfeil in den Körper. Orgiastisches Zusammenspiel von Materie und Form.
Auch Tätowierungen sind im diesem Sinne ein Mittel der Verführung. Es scheint, daß Mugler sich mit seiner Verwandlung in „Manfred“ verhoben hat. Der Weg vom Modezar zum Bodybuilder wirkt auf den ersten Blick bizarr. Und doch hat er seine Logik in der „Lust“ seines Protagonisten. Mugler scheint sich wohl zu fühlen, auf der Tanzfläche im Berghain nachts um halb fünf, und in den Studios der Gay-Community Berlins. Zudem läßt Thierry Mugler in seiner Kunst nicht nach.
Lady Gaga, Beyoncé und Kim Kardashian sind nach wie vor dankbaren Kunden. Thierry Mugler stattet sie mit dem nötigen Glamour aus, schneidert ihnen Kleider auf den Leib, die sie zu dem machen, was sie sind. Cardi B 2019 erschien bei den Grammys in einem Muschelkleid von Thierry Mugler, einer Hommage an Botticellis Venus. Die Liebes- und Lustgöttin Venus. Die perfekt für Welt Thierry Muglers steht. Auf ihrer Muschel auf Schaum. Und nur ganz manchmal stellt sie sich die Frage: Wer zum… ist eigentlich „Manfred“.