Nachgestochen 1

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Das Leben eines Gestochenen

Als ich jung war, wollte ich immer ein Tattoo. Jedoch war meine Mama nicht ganz so überzeugt vom Gedanken, dass ihr geliebter Sohn seinen Körper für immer verschandelt. Dass war natürlich ihrem kleinen, jetzt schon achtzehnjährigen Jungen komplett egal. Pünktlich zum Geburtstag ging es vom Dorf aus, per Zug in die ferne und große Stadt, namens München. 1998 googelte man noch nicht nach seinem Lieblings Tattoo Künstler. Man ging da hin wo man von jemanden hörte, der von jemanden hörte, dass dieser eine jene da jemanden kannte, der angeblich schon mal da war und sich da hat tätowieren lassen. Ob es gut gestochen wurde, war dabei nicht überliefert. Egal, die Aussage alleine reichte schon aus und man war vollen Willens sich das wohl coolste Tattoo aller Zeiten stechen zu lassen.

Ich überlegte wie ich auftrete, wie hoch der eigene coolness Faktor sein sollte. Höflich – aber bestimmend. Das war mein Ziel, denn ich wollte ja nicht mit einem Pimmel auf der Stirn das Tattoo Studio wieder verlassen. Und in meiner Vorstellung waren permanent bemalte Menschen durchweg kriminell. Und ich wollte einer von ihnen werden. Meine Freunde und alle Mädels würden mich bewundern. Alex, der sexy Outlaw.

Angekommen, stand ich nun vor dem Tattoo Shop meiner Wahl. Sogleich war jeglicher chilled Faktor verloren gegangen und wich meiner Angst vor dem Neuen. Die Worte meiner Mama machten sich in meinem Kopf breit. Mir war schwindelig bei dem Gedanken nie mehr die Haut unter dem Tattoo sehen zu können, was denn nun gleich meine Epidermis zieren würde. Das man Tattoos auch wieder entfernen lassen kann, daran dachte ich nicht. Auch wenn es heute möglich ist. Es war soweit – der Türgriff war gedrückt und ich machte mich mental auf eine Schlägerei bereit.

Da stand ich nun im Foyer des Ladens. Ein Gang führte nach hinten und man hörte das helle Summen der Tattoo Maschine. Ich war auf alles gefasst. Mein Adrenalin Pegel auf Anschlag. Erst ein Schatten, dann schnelle Schritte die auf mich zu kamen. Meine Fäuste geballt und in meiner Fantasie ganz auf Jackie Chan gepolt. Da stand er auf ein mal vor mir. Ein freundliches Servus mit einem Lächeln begegnete mir und mein Kampfmodus wechselte sofort in Gelassenheit um. All das, wo vor ich mich fürchtete war nicht existent.

Natürlich bekam ich erst mein Tattoo drei Wochen später. Zuvor wurde ich gut beraten was Pflege eines Tattoos und alles andere anging. Eine Skizze wurde angefertigt und nach einer Anzahlung war ich nach genannter Zeit der stolze Besitzer eines Drachen auf meinem rechten Unterarm. Mittlerweile ist 2018 und mich zieren 14 weitere Kunstwerke. Alle mit einem Lächeln und einem freundlichen Servus auf den Lippen. Ach ja und guess what – meine Mama liebt ihren kleinen Jungen trotzdem noch.

(Alex Leonhardt)