Kolumne • von Dirk-Boris Rödel
Tattoo-Conventions oder auch Tätowierermessen wurden in den 70er und 80er Jahren vor allem zunächst in den USA abgehalten. Auch in Europa hatte es zu dieser Zeit bereits vereinzelt lockere Treffen von Tätowierern und Tätowierten gegeben, den Event-Charakter bekamen solche Veranstaltungen jedoch erst in den Vereinigten Staaten.
Ursprünglich waren solche Treffen gar nicht als Publikumsveranstaltungen mit kommerziellem Interesse konzipiert sondern als Treffen von Tätowierern, die bei diesen Gelegenheiten Techniken, Tipps, Tricks und Kniffe austauschten – und natürlich auch feierten.
In einer Zeit lange vor dem Internet und in einem Umfeld, in dem Tätowierer und Tattoo-Fans als gesellschaftliche Outcasts galten, waren solche Treffen zum Informationsaustausch von unschätzbarem Wert.
Erst zu Beginn der 90er Jahre schwappte das Konzept der Tattoo-Conventions nach Europa und erfuhr inhaltlich-konzeptionell ein paar Änderungen. Der Fokus lag nun mehr auf den Besuchern beziehungsweise darauf, diesen ein attraktives Event zu bieten. Die reinen Tätowierertreffen wurden mit Show-Acts aufgehübscht (meist durch Freak-Shows, Rockbands und Striptease-Darbietungen), vor allem aber legten viele Veranstalter wert darauf, ihren Besuchern ein breites Angebot an Tätowierern unterschiedlichster Stilrichtungen zu bieten, die oft auch aus dem Ausland anreisten. So hatten Tattoo-Fans die Möglichkeit, sich während eines Convention-Wochenendes von renommierten Tattoo-Künstlern aus den USA oder Japan, aus Osteuropa oder Australien tätowieren zu lassen. Auch ich selbst habe dieses Angebot stets gern genutzt und habe mich bei solchen Veranstaltungen von Tätowierern aus England und Südafrika, aus Amerika, Japan oder auch Kroatien tätowieren lassen, von Künstlern, die ich nicht so ohne weiteres einfach in ihrem Studio hätte besuchen können.
Auch heute legen die Veranstalter hochwertiger Tattoo-Conventions großen Wert darauf, ihren Besuchern eine Auswahl von Top-Vertretern unterschiedlichster Tattoo-Stilrichtungen zu präsentieren, doch natürlich sind inzwischen auch Szene-fremde Geschäftemacher dahinter gekommen, dass sich mit diesem Konzept Geld verdienen lässt.
Im Gegensatz zu liebevoll organisierten Veranstaltungen, bei denen die einzelnen Tattoo-Künstler sorgfältig ausgewählt werden und bei denen auf eine interessante Mischung aus Stilen wie Realistic und Traditional, Lettering und Newschool, Tribal und Anime geachtet wird und bei denen die Qualität der ausstellenden Künstler im Vordergrund steht, karren solche Organisatoren einfach ein oder zwei Dutzend Tätowierer aus den Nachbardörfern zusammen, die von renommierten Conventions erst gar nicht eingeladen würden. Für Tattoo-Fans ist der Besuch einer solchen Veranstaltung, die oft genug von Leuten abgehalten wird, die selbst überhaupt nicht tätowiert sind, keinen Bezug zur Tatto-Szene haben und aus reinem kommerziellen Interesse handeln, völlig verzichtbar; das Talent der dort arbeitenden Tätowierer ist meist überschaubar, die angebotenen Motive und Designs sind völlig austauschbar. Wer hier nach individueller Tattookunst von kreativen Künstlern sucht, sucht oft vergebens.
Sehr schade ist, dass solche Hit-and-Run-Veranstaltungen, die nach Schema F runter gerissen und dutzendweise mit Minimalaufwand den Veranstaltungsort-Kalender überschwemmen, auch den wirklich gut gemachten, traditionsreichen Veranstaltungen schaden. Denn wer schon mal eine solche 08/15-Veranstaltung besucht hat, für den ist das Thema Tattoo-Convention sicher erstmal gestorben, auch wenn es auch heute noch sehr, sehr viele toll gemachte und mit viel Herzblut organisierte Tattoo-Events von langjährig erfahrenen Convention-Organisatoren gibt, die den Besuch mehr als lohnen!
Text: Dirk-Boris Rödel
Grafik: Studio Marco • Jonas Bachmann