Tattoos: Kunst im Knast

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Tattoos in der Zeit der Isolution

Zur Lage der Nation

Was sind das gerade für Zeiten?! Der Irrsinn und die Vernunft sprechen gleichermaßen aus voller Kehle, genauer gesagt: sie schreien. So, dass Halsschmerzen daraus werden. Es ist Extrem-Virus-Zeit.

Dass der chinesische Virus aus Wuhan, von dem man Anfang Dezember mehr nebenbei als gezielt aus der Zeitung erfuhr, mit solcher Wucht über den kompletten Erdball fegen würde, hätte man vor ein paar Wochen nicht geglaubt. Von der Fledermaussuppe aus einem Dorf in China (dem angeblichen Entstehungsort des Virus) bis hin zu… zu was eigentlich? Unzähligen Infizierten, daran Verstorbenen, abgesagten Veranstaltungen über einen unüberschaubaren Zeitraum, Schließung der meisten Geschäfte und Unternehmen. 

Das ist schon eine bemerkenswerte Erfahrung: die Einschränkung der Grundrechte für den Einzelnen – eingeschränkter Ausgang, Versammlungsverbot, Entwendung von Handydaten und, und, und. Natürlich haben diese Maßnahmen einen gewissen Sinn und eine Notwendigkeit, so fern sie, sobald die Katastrophe wieder in den Griff zu bekommen scheint, die Demokratie wieder in den ursprünglichen Zustand zurückgebracht wird. Back to democracy. Und zurück zu den Rechten des Einzelnen. Zu seinem Recht, sich draussen zu vergnügen. Sich tätowieren zu lassen. Sich selbst ausdrücken, sich zu treffen, sei es auf einer Party oder auf der Zugspitze. Das kommt alles wieder, doch zur Zeit erlebt ein jeder das Gefühl von Isolation und Eingesperrt sein.

 

Isolation – das Knast-Tattoo

Das Gefühl, sich nicht mehr frei bewegen zu können, hat für den Betroffenen viele Nebenwirkungen: für Singles Einsamkeit, für Paare Überforderung im Lust- und Streitbereich. Dazu kommt die Angst, wie es mit dem Beruf weitergeht, und ob das Einkommen langen wird. Das kann weit führen, bis hin zu Panikattacken und ausgewachsenen Depressionen. Und das geht den meisten Menschen so.

Zuvor gab solche Gefühle hauptsächlich in den Gefängnisanstalten. Und es ist interessant mit welchen Arten die Insassen sich ihr Stück von Freiheit bewahren, oder die Erinnerung daran erhalten. Wie sie sich die Hoffnung auf eine zukünftige Freiheit in ihr Leben holen. Eine Antwort darauf geben ihre Tätowierungen. Die Knast-Tattoos zeugen von einer Zugehörigkeit ausserhalb des Haftstrafe; zb. zu einer Gang, mal draussen, mal drinnen, lebendig ist. Ein Knast-Tattoo kann aber auch Selbsterhalt bedeuten, Eigenmächtigkeit, und dass man noch die Kontrolle über das eigene Leben hat. Tattoo, als ein Akt eigener Entscheidung. Knast-Tattoos sind oft nicht sauber gestochen und rudimentär in die Haut eingebracht. Da es im Gefängnis keine professionellen Tätowier-Maschinen gibt, und es überhaupt an Hygiene mangelt, macht eine Tätowierung um so schwieriger. Als Tätowierpistole dient oft ein Rasierer, der mit einer Nadel versehen ist. Die Farbe ist eine Mischung aus Urin und verbrannten Gummi.

Nimmt man solch eine Prozedur auf sich, zeigt das, was für einen Wert so ein Tattoo für den Menschen in der Haft hat. Depression und Angst auf der einen Seite, das mächtige und dauerhafte Statement als Tattoo auf der anderen Seite. Diese Erfahrung trifft uns auf einmal alle:

Wie kann ich die Kontrolle über mein Leben zurückbekommen!

 

Wie würde dein Knast Tattoo aussehen?

Jetzt, wo der Leser von der Ausgangssperre betroffen ist, kann dieser sich überlegen, wie er selbst sein Tattoo als „Knast Statement“ gestalten würde. Wie ist seine Aussage zur Freiheit, was sind seine letzten Worte, die es verdienen, noch gesagt zu werden. Der Claim des Lebens gewissermassen.

Tipp: Gefängnisinsassen müssen sich für gewöhnlich auf längeren Zeitraum in Haft einstellen. Als Häftling muss man für seine Tätowierung daher so einige Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Wir dagegen können (wenn es gut geht) schon damit rechnen, zeitnah in geordnete gesellschaftliche

Verhältnisse zurückzukehren. Bevor Sie also ihren Rasierapparat im Hobbykeller mit einer Nadel versehen, und sich selbst massakrieren, warten sie lieber ab. Denken Sie schon mal über mögliche Motive nach, und besuchen Sie in der Zeit nach der Ausgangssperre den Tattoo-Shop ihres Vertrauens. Wir, die Tätowierer, die ihren Beruf mit viel Engagement und Leidenschaft betreiben, werden es Ihnen

D A N K E N.

 

Hier schon einmal ein paar Motivvorschläge:

Uhr ohne Zeiger: Der Häftling ist für sehr lange Zeit eingesperrt.

 

Träne: Der Träger hat einen Mord begangen. Ist die Träne noch nicht ausgefüllt, heisst das, dass die Tat noch ausgeführt werden muss.

 

fünf Punkte/ drei Punkte: Fünf Punkte – der Tätowierte mit diesem Motiv war schon einmal in Haft. Die drei Punkte symbolisieren den Gefängnisaufenthalt, sie stehen für den Ehrenkodex der Inhaftierten: Glaube, Liebe, Hoffnung (die drei Affen des japanischen Gottes Vadjra)

 

Schwalbe: Dieses Tattoo verkündet die Freiheit. Das höchstes Gut im Leben eines Menschen. Zu Spüren ist der Wert der Freiheit natürlich am stärksten für die Betroffenen: Alle Eingesperrten!

(Text: Julian Bachmann / Illustration: Jonas Bachmann BACCO))