Darkest Works – Welten in Schwarz

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Werde ich um eine Aufzählung und Erklärung der zahlreichen Stilrichtungen der Tätowierung gebeten, hole ich erstmal tief Luft. Von klar beschreibbaren Strömungen wie American Traditional („oldschool“) über Sonderfälle wie Anime- oder Comic-Tattoos, bis hin zur weit gefassten Rubrik des Realismus – Die Auflistung scheint endlos bis unmöglich. Gerade auch Vermischungen und Weiterentwicklungen einzelner Stilrichtungen verweben die Liste der Stile zu einem teuflisch kreisförmigen Mind-Map-Diagramm.

Dass sich zudem Überkategorien wie „black and grey“ oder „colourwork“ bilden lassen, die sich als Begriff jedoch selbst bereits zur Stilrichtung etabliert haben, erleichtert die Erklärung nicht gerade. Von allen gängigen Begriffen dürfte jedoch „Blackwork“, zu Deutsch also Schwarzarbeit, zu einem der am weitesten gefassten Stile zählen.

Blackwork – was will mir das sagen? Ist nicht in fast jedem Tattoo schwarze Farbe enthalten, und sei es nur als dünne Linie in einem Schriftzug? Unverständnis ist hier vorprogrammiert – dabei ist der Begriff an sich leicht zu erklären. Vereinfacht lässt sich sagen, dass es sich auch hier um eine Art Überkategorie verschiedener Stilrichtungen handelt – mit der Gemeinsamkeit, dass (wie der Name sagt), SCHWARZ als Farbe im Vordergrund steht.

Im normalen Gebrauch bezieht sich dies besonders auf eine vornehmliche Verwendung schwarzer Farbe und hoher Kontraste in entsprechenden Tätowierungen. Bunte oder auch nur farbige Tattoos sucht man hier vergeblich. Dies erscheint zwar simpel – hier wird jedoch auch die Vielseitigkeit und Bedeutung der Farbe schwarz umso deutlicher! Betrachtet man etwa eine fotorealistisches black and grey-Tattoo, findet man auch hier durchaus schwarze Flächen und Linien – diese sind maßgeblich für ein kontrast- und langlebiges Tattoo. Eine leichte Verstärkung der schwarzen Töne, oder auch eine Verwendung von Outlines oder grafische Elemente verfremden allerdings bereits den Fotorealismus, hin zur Abstraktion – und hier zeigt sich ein Grundelement des Blackwork: Abstraktion und Grafik.

 small blackwork flower with abstract elements

Darkest Works pt. I – die dunkle Seite des Neotraditionals

Besonders verbunden mit dem blackwork-Begriff ist eine Weiterführung von Neotraditional- und black and grey-Motiven hinein in die Welt des Übernatürlichen, des Horrors und des Monströsen. Vom Dämon mit dem Gesicht einer Frau, der messerschwingenden Spielzeugpuppe bis zum tentakelbesetzten Tausendfüßer – die Motive sind vielseitig und der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Besonders Charaktere wie Menschen, Tiere oder Fantasiewesen sind hier gängig – der dunkle touch der Motive selbst unterstreicht die Bedeutung des Wortes Blackwork natürlich umso mehr! Dass sich auch „zartere“ Motive wie Blüten, Blumenranken oder Schriftzüge gut in dieser Richtung interpretieren lassen, ermöglicht eine breite Spanne an Umsetzungsmöglichkeiten jeglicher Motive. Von Hardcore-Horror über okkulte Symbolik, über lustige und comic-artig ironische Figuren bis hin zum Gothic-Vibe – nahezu jedes Motiv lässt sich in ein düsteres Gesamtbild integrieren. Doch ist nicht nur das Motiv, sondern auch wie bereits erwähnt die farbliche und technische Umsetzung ausschlaggebend für die dunkle Seite der Tätowierung. Besonders kräftige Umrandungen, ähnlich der Neotraditional- und Newschool- Manier und satter, flächiger Einsatz von Schwarz-Tönen sorgt für klar defininierte Konturen und hohe Schwarz-Weiß-Kontraste. Die Ausführung kann hier durchaus sauber und filigran gehalten sein, etwa um feminine Konzepte zu erstellen – Auch feine Dotwork-Schattierungen lassen sich sehr gut mit dunklen Motiven verbinden. Doch ein wichtiges Stilelement sind gleichermaßen skizzenhafte Striche und lockere, ins Abstrakte reichende „Pinselstriche“ oder Linien. Dies bildet mitunter einen der größten Unterschiede zu klassischen Neotraditional-Tattoos, bei denen saubere und klare Gestaltung eines Designs stilprägend sind. Nichtsdestotrotz bezieht auch diese Art des Blackwork definitiv Elemente anderer Stilrichtungen ein, etwa aus NeoTrad, Realismus und Lettering.

 small blackwork flower with abstract elements

Darkest Works pt. II – von Abstraktion und Atmosphäre

Gegenständlichkeit ist jedoch kein Muss. Düstere Optik ist nicht nur anhand von dämonischen Figuren oder Szenen umsetzbar – vielmehr kann auch mit rein abstrakten oder teils abstrahierten Motiven eine durchaus morbide Atmosphäre erzeugt werden. Besonders das Dark Lettering sowie das Neotribal sind heir als Kategorein zu benennen: mit kalligraphisch wirkenden Linien und Formen lassen sich nicht nur körperformorientierte, sondern auch vielschichtige und komplexe Gesamtbilder auf der Haut umsetzen. Wie der Name besagt, beruht etwa Dark Lettering durchaus auf Schriften und Symbolen, die jedoch durch Verzerrung und komplexe Verwebung von Linien und Zwischenräumen teilweise bis in die Unendlichkeit abstrahiert werden. Auch das Neotribal als „Neuauflage“ des altbekannten 90er-Jahre-Tribals verwendet eine größere Vielfalt in Linienführung, Strichstärke und Komplexität – hierbei kann sich der Betrachter oftmals an das Bandlogo einer Death-Metal-Band erinnert fühlen. Durch Schattierung und Einbindung von gegenständlichen Motiven werden jedoch auch diese Richtungen ergänzt – der Vielfalt der Abstraktion sind keine Grenzen gesetzt.

Eine meiner eigenen Meinung nach sinnvolle Ergänzung sind hier besonders realisctische oder teilrealistische Motive, die sich hervorragend in abstrakte Gewebe einbienden lassen – vom Raben bis zur Rose, ein morbider Hauch lässt sich in so gut wie jedes Motiv einbinden – Abwechslung garantiert!

 small blackwork flower with abstract elements

Darkest Works pt.III– Fluid und Kalligraphie

Abseits von der oben genannten Horrorseite der Tätowierung sind, wie bereits erwähnt, auch ornamentalere Konzepte Bestandteil des Blackwork-Kosmos. Eine in den letzten Jahren etablierte Stilrichtung, das Fluid-Tattoo, dürfte mittlerweile vielen Tattoo-Interessierten ein Begriff sein. Marmorierungen, bzw. Strukturen verlaufender Flüssigkeit sind hier das Grundkonzept für rein abstrakte, doch stark lebendig wirkende Hautbilder. Ob in vollschwarzer Ausführung oder mit Ergänzungen durch hell schattierte Flächen – ein organisches Konstrukt ist hier stets das Endergebnis. Bemerkenswert ist hier oft die Verwendung eines Pinsels oder ähnlichen Malwerkzeugen zum Anbringen des Stencils auf der Haut in Form einer Freehand-Malerei, bzw. Kleckserei.

Doch auch klassischere Kunstformen wie ostasiatische Kalligraphien und Tuschezeichnungen lassen sich als Tätowierung sehen. Dass Schwarz nicht gleich Schwarz ist, zeigt sich hier besonders eindrucksvoll: Schon die Verwendung hellerer Schattierungen, etwas am Ende eines dargestellten Pinselstrichs, lassen die Illusion eines realen schwarzen Tuschebildes auf der haut entstehen und umso realer wirken, obwohl das dargestellte Motiv letztendlich doch nur ein schwarzer Strich sein kann.

 

Darkest Works pt. IV – Geometrie und Ornamentales

Wie bereits im Kontext des Neotribals erkennbar, ist auch im Bereich der ornamentalen Tätowierung durchaus eine Zuordnung zum Blackwork-Begriff möglich. Das Paradebeispiel sind hier natürlich indigene Tätowierungen aus dem polynesischen Raum, welche auch unter dem Begriff „Maori“ oder „Polynesian“ zusammengefasst werden (Zu diesem Stil ist in anderen Artikeln unseres Magazins nachzulesen). Hier, wie auch in der westlichen Adaption, des sog. Tribals sind rein schwarze Flächen und Formen die Grundlage von Mustern und Symbolen, die zusammengesetzt großflächige Verzierungen der Haut bilden. Dass auch ein Armband-Tattoo, also schwarze Streifen oder Ringe, sowie andere grafische Formen und Muster in diesen Kontext gebracht werden können, ist selbstredend. Als ultimative Blackwork-Arbeit kann hier wohl auch das „Blackout“ genannt werden, also die vollständige Schwärzung eines Körperteils – besonders, da auch hier die Möglichkeit der Einbindung grafischer Elemente besteht, etwa durch das Freilassen von Hautstellen in grafischer Form, d.h. ornamentale Motive als Negativ-Zeichnung. Etwas feiner und besonders in Verbindung mit Dotwork-Technik stehend sind geometrische Motive wie Mandalas oder spirituelle Muster, wie auch Motive der „Op-Art“. Da ornamentale Motive meist gut kombinierbar sind, lassen sich umso besser auch einzelne Unterarten bzw. Stile kombinieren!

 small blackwork flower with abstract elements

Nun zum Fazit – Eine klare Definition von Blackwork gibt es meiner Ansicht nach nicht. Prägend für den Begriff sind vielmehr 2 Bedeutungen des darin enthaltenen Wortes schwarz: Zum einen die Farbe an sich, welche als Grundlage und Essenz für diverse Stile und Konzepte eine Rolle als verbindendes Element einnimmt. Zum anderen das Schwarz im Kontext des Dunklen, Morbiden und Düsteren. Kaum eine Farbe dürfte eine solche Bedeutung in der elt der Körperkunst einnehmen wie diese, in all ihren Facetten – und doch, am Ende gilt: -all black everything- .

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