Die Tattoo-Convention München – einst und heute

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Dirk Boris Rödel Chef Redakteur Tätowiermagazin Artikel Anansi Chronicles München Tattoo best
Die Tattoo-Convention München – einst und heute

Ein Gastbeitrag von Dirk-Boris Rödel – der ehem. Chef des TätowierMagazin

Im Jahr 1995 hatte ich, soweit ich mich erinnere, so ungefähr drei oder vier kleinere Tattoos, womit man zur damaligen Zeit schon ordentlich tätowiert war. Vom TätowierMagazin waren gerade auch die ersten zwei, drei Ausgaben erschienen, aber wenn man sich über die Tattooszene informieren wollte, kaufte man eigentlich immer noch das »Tattoo«-Heft aus dem Paisano-Verlag, bei dem auch die Chopper-Zeitschrift »Easyriders« erschien. Das »Tattoo« war ein dünnes Heftchen, von vorn bis hinten voll mit wirklich schlechten Tattoos, gedruckt auf billigem Papier in schwarz-weiß. Aber es war lange Zeit das einzige Heft, das überhaupt über Tattoos informierte, auch wenn es zu Beginn nur vierteljährlich erschien und vor allem die amerikanische Szene thematisierte.

Ich nehme an, dass ich den Termin für die Münchner Tattoo-Convention 1995 aus dem »Tattoo« erfahren hatte, denn Internet o.ä. gab es damals ja noch nicht. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine andere Convention besucht, auch wenn es in Frankfurt, Karlsruhe oder Berlin schon welche gab, aber man konnte die Anzahl von Tattoo-Shows in Deutschland wirklich noch an den Fingern abzählen.

Damals warb man noch mit besonderen Star-Tätowierern auf den Plakaten und Anzeigen, so dass ich dadurch erfahren konnte, dass unter anderem Fiona Long von Feline Tattoo aus dem englischen Sheffield nach München kommen würde. Fionas Arbeiten waren mir bereits durch das Tattoo-Heft bekannt, sie machte (und macht immer noch) besonders schöne farbige Tattoos, so dass ich sie vorab anschrieb und um einen Termin auf der Münchner Convention bat. Ich hatte mir als Motiv eine Vorlage des brasilianischen Flash-Zeichners Mauricio ausgesucht, einen Ork – damals war es noch nicht üblich, dass Tätowierer eigene Entwürfe anfertigten, die meisten griffen auf die Sheets von Flash-Zeichnern zurück.

Ich weiß noch, wie überwältigt ich war, als ich den Mathäser Saal betrat, in dem die Münchner Convention im Jahr 1995 stattfand. Es war ein alter Festsaal mit Tattoo-Ständen unten wie auch oben auf der Empore, ein großer, heller und pompöser Saal, gefüllt mit den ganzen »Stars« der damaligen Szene, die ich bis dahin nur aus Magazinen kannte. Das Münchner Tattoo-Urgestein Tattoo Sohne hatte mit dem Piercer Randy seine internationalen Kontakte genutzt und hatte in den 90ern schon Tätowierer wie Aaron Bell aus Seattle oder Jack Mosher aus Kalamazoo nach München gebracht, oder auch ThEnigma, den blauen Puzzlemann. Conventions wie die von Sohne in München veranstaltete waren noch echte internationale Szene-Treffs, bei denen man Tätowierer treffen konnte, die eigene Stilrichtungen erschaffen hatte, so wie die Wiener Tattoo-Künstler Bernie Luther oder Waldi Wahn – nicht die Art von Billig-Veranstaltungen von heute, bei denen szenenfremde Veranstalter einfach zwei dutzend 08/15-Tätowierer aus den Nachbardörfern in eine Stadthalle pferchen um dafür Eintritt zu verlangen.

Besucher von Tattoo-Conventions waren natürlich auch in den 90ern schon überdurchschnittlich tätowiert, allerdings waren komplette Rückentattoos oder Sleeves längst kein so normaler Anblick wie heute. Nicht immer waren Tattoos an sichtbaren Stellen angebracht, aber da man auf solchen Messen ja auch gerne zeigte, was man hatte, ohne deshalb gleich halbnackt rum rennen zu wollen, sah man damals auf Conventions oft Besucher die in ihre Hosen, Shirts und Pullis dort, wo sie Tätowierungen trugen, Löcher geschnitten hatten – ein skurriler Modetrend, der Ende der 90er wieder ausstarb, als auch Tattoos an Unterarmen häufiger wurden und »Gucklöcher« in den Klamotten obsolet wurden.

Einer der beliebtesten Stände auf der Münchner Convention war der von Wildcat aus England. Zwar gab es schon einen deutschen Ableger des Piercing-Suppliers, doch zu vielen Conventions reisten immer noch die Firmengründer aus Großbritannien selbst an. Da man Piercingschmuck damals noch nicht über Internet bestellen konnte, waren Conventions wie München für viele Tätowierer, die in ihren Studios auch Piercings anboten, die einzige Möglichkeit, Banana-Bells, Ball-Closure-Rings oder Smooth-Segment-Rings einzukaufen, und vorm Wildcat-Stand formten sich schon bei Hallenöffnung lange Schlangen. Meist war der Stand schon nach kurzer Zeit leer gekauft.

Fester Bestandteil des Showprogramms war damals stets eine Freakshow und am späteren Abend eine Strip-Show – ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, was in München damals geboten war, aber ich denke, das war zu der Zeit so ungefähr das Standardprogramm, das sich auch ein wenig an der Biker-Szene orientierte, aus der damals noch die meisten Tätowierer kamen.

Stärken konnte man sich direkt neben dem Mathäser Festsaal in einem urbayerischen Gasthof, nicht in einem für Touristen, sondern in einer Gaststätte, in der sich die Münchner Ureinwohner am Sonntag zum Weißwurst-Frühstück trafen. So saßen dort während der Münchner Tattoo-Convention einträchtig halbnackte tätowierte und gepiercte Freaks, Punks und Rockabillies neben bayerischen Eingeborenen in Lederhosen und mit Rasierpinsel am Hut, mampften Schweinshax’n, saure Lüngerl oder halbe Hendl und tranken Weißbier. Eine unvergleichliche fröhliche und gemütliche Stimmung, die ich nirgendwo sonst je wieder erlebt habe.

Tattoo Sohne, der seine wunderschöne Veranstaltung leider aufgab, nachdem auch eine zweite Convention in München alljährlich abgehalten wurde, hat mit seiner frühen Münchner Convention die Messlatte gelegt, an der sich auch die TattooMea orientieren will, die neue Münchner Convention, die in diesem Jahr vom 8. bis 10. Mai erstmals vom TätowierMagazin ausgerichtet wird. Angemeldet sind bis jetzt Spitzenstudios wie das legendäre Apocalypse Tattoo aus Berlin, das Black Rainbow Theatre aus Zwickau, das Münchner Studio Corpsepainter von Julian Siebert, Andy Engel, Fabrice Koch von FabINKognito, GAX aus Wiesbaden, Tara von Into the Light, Dane von Abseits Tattoo und Darby vom Golden Times Atelier und und und… Natürlich kann man die unvergleichliche Stimmung von Sohnes »alter« München-Convention nicht wieder beleben, aber zumindest ist es der Anspruch der TattooMea, an die Qualität seiner Veranstaltung anzuknüpfen und vielleicht doch auch wieder etwas vom alten Geist der Tattooszene durch die Tonhalle wehen zu lassen.

Ich werde die TattooMea moderieren und freue mich darauf, dass München mit dieser Tattoo-Messe wieder eine Convention bekommt, die der bayerischen Landeshauptstadt würdig ist!

2 thoughts on “Die Tattoo-Convention München – einst und heute

  1. Hi Dirk-Boris (und Tattoo Anansis),
    danke für den schönen Flashback! Ich freue mich grade total, mal einen Bericht zum Festival 1995 gefunden zu haben. Ich recherchiere nämlich schon seit Jahren dazu, weil ich das tolle Festival-Shirt von damals suche. Das war ein graues Shirt mit bayerischem (tätowierten) Löwen drauf.

    Die Erklärung hier kurz in Stichpunkten:

    Meine Mama / 1995 tätowiert worden / ich als 8-Jähriger mit ins Studio / vom Tättowierer das Shirt geschenkt bekommen / ich stolz wie Bolle / Shirt ging mir damals bis zu den Füßen / habe es bis vor ein paar Jahren getragen / dann mehr Löcher als Shirt / Altkleidersammlung / ich traurig.

    Falls also jemand hier das Shirt haben sollte: Ich freue mich MEGA über jede Nachricht und würde das Shirt (auch mit Löchern und Co.) super gerne abkaufen. Notfalls hänge ich es in die Vitrine!

    Viele Grüße aus Giesing, Nico

    • Hallo Nico supernette Überraschung – klasse wenn sowas über Generationen weiter lebt – so eine direkte Verbindung zur Veranstaltung mit Leidenschaft und Herz – wir helfen selbstverständlich bei der Recherche und leiten das an Dirk-Boris weiter. Sollte aus Münchner Kreisen jmnd das Shirt entdecken einfach bei uns melden – thks.

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