Freehand Designs – von Vertrauen und Fertigkeit

60
0

Der Tag des Tattoo-Termins – ein Tag, auf den man gerne hinfiebert. Selbst die erfahreneren Tätowierten unter uns erwischt doch oft zumindest eine leichte Aufregung, zumindest kurz vor Start des Termins. Vorbesprechung hin oder her – wie wird das Endergebnis wohl aussehen? Trifft der Tätowierer wohl das Bild in meiner Vorstellung? Und wie sieht überhaupt das Design aus, welches mein Tattoo Artist für mich vorbereitet hat?

Das Design – die Basis für jedes Tattoo, egal ob kleiner Schriftzug, Realismus-Großprojekt oder Maori-Sleeve. Ein Tattoo kann noch so fein ausgearbeitet und perfektionistisch gestochen sein – eine ungeplante oder ungenaue Planung und Platzierung macht jedes noch so kleine Motiv zum Hingucker im negativen Sinn. Die Gesamtwirkung muss schließlich stimmen, nicht nur die technische Umsetzung. Dementsprechend steigt die Spannung vor dem ersten Blick auf das geplante Motiv, welches üblicherweise zu Beginn der Sitzung vorgestellt, besprochen und/oder ausgearbeitet wird. De Technik sei Dank – mithilfe von Zeichentablets und Bildbearbeitungssoftware wie „Procreate“ oder „Photoshop“ lassen sich Tattoo-Designs mittlerweile in kurzer Zeit erstellen und relativ unkompliziert auch unarbeite, was das Arbeiten ungemein erleichtert und beschleunigt. Nichtsdestotrotz bevorzugen viele Kollegen, gerade aus älteren Tätowierer-Generationen noch immer Stift und Papier gegenüber dem Apple-Pencil.

Und doch – nicht jedes Tattoo lässt sich aufs Genaueste im Vorhinein verbildlichen. Zwar können Maße genommen werden, Fotos vom entsprechenden Körperteil aufgenommen werden – ein wichtiger Faktor ist und bleibt jedoch die Körperform. Dass ein Tattoo kein 2-Dimesionales Bild, wie etwa eine Zeichnung auf Paier oder Leinwand ist, sollte klar sein. Muskeln und Knochen bestimmen maßgeblich die Erscheinung der Tätowierung, was eine Anpassung des Motivs unabdingbar macht. Bereits wenige Zentimeter Unterschied in der Ausrichtung oder eine einzige unschön platzierte Linie können zum Störfaktor werden. Und so gut sich die meisten Motive planen und daraufhin ausrichten lassen – sinnvoll ist ein fertig ausgearbeitetes Design nicht unbedingt in jedem Fall.

Sogenannte Freehand- Zeichnungen, das heißt Tattoo-Designs, die mit sterilen Markern oder Pinseln direkt auf die Haut aufgezeichnet werden, sind elementarer Bestandteil des Tätowiererhandwerks. Nahezu jedes Motiv lässt sich in Form einer Skizze starten. Besonders geläufig ist die Freehand-Zeichung in Stilrichtungen wie Maori (Polynesian), ornamental Blackwork, und ähnlichen abstrakten oder ornamentalen Stilen. Die Motive sind hierbei meist so stark an die individuelle Form des Körpers angepasst, dass es sehr schwer bis unmöglich ist, eine ästhetische Platzierung mithilfe eines herkömmlich ausgdruckten Stencil anzufertigen und formschön anzubringen. Hier kommt der Marker ins Spiel – und mit ihm eine gehörige Portion Vertrauen von Seiten des Kunden. Denn beruhigend ist es schon, mit dem Wissen um das genaue Motiv in eine Tattoo-Session zu starten. Im Falle einer Freihand-zeichnung ist dies ein weinig komplizierter – Vorskizzen und eine deteillierte Vorbesprechung, auch mit Beispielbildern des Kunden für Wunschmotive/-Elemente können die Ausarbeitung erleichtern. Jedoch ist eine Direktskizze mit deutlich intensiverem Austausch bei der Anbringung verbunden – und selbstredend auch etwas zeitintensiver.

Maori Projekt by Ari

Üblicherweise arbeitet der Tätowierer (nach der üblichen hygienischen Vorbereitung) in der Zeichnung von grober Vorzeichnung hin zu feineren Details. Unterschiedliche Stiftfarben erleichtern die Verbildlichung von Hell-Dunkelkontrasten und Formkonturen. Bei ornamentalen Projekten ist zudem meist eine Anbringung von Hilfslinien, etwa Zeilenraster oder Nachfahren der Muskelkonturen essenziell. Von der Grobform über outlines und Flächeneinteilung, bis hin zum Ergänzen mit kleineren Details wird so Stück für Stück ein Gesamtbild erschaffen, welches sich nahezu optimal an die zu tätowierende Stelle „anschmiegt“. Nicht umsonst arbeiten manche Tätowierer ausschließlich mit solchen Arbeitsprozessen!

Was spricht also dagegen, einfach jede Tätowierung mit einer Freehand-Skizze zu starten? Ein Punkt hierbei ist das Motiv selbst. Bei ornamentalen Projekten ist oft genug Spielraum in der Gestaltung vorhanden, um der Kreativität noch während der Stencilplatzierung einfliessen zu lassen, was die Gestaltung zu einem dynamischen Prozess macht. Im Vergleich hierzu leb jedoch etwa Fotorealismus von einer sehr exakten und, wie der Name besagt, „fotorealistischen“ detailgetreuen Umsetzung eines Motivs. Wer einmal versucht hat, ein Foto mit Bleistiften nachzuzeichnen weiss, wie langwierend und komplex eine solche Zeichnung ist. Das Tattoo-Resultat kann hier deutlich einfacher mit einer Schablone, also Stencil angebracht werden – eine Freihand-Zeichnung kommt einem überflüssigen Arbeitsschritt gleich.

Auch die Genauigkeit der Vorzeichnung ist ein Faktor – und zwar derjenige, der Vertrauen in den Tätowierer verlangt. Denn eine Freihandzeichnung mit Markern ist oft keineswegs so genau und feinlinig ausgearbeitet wie das fertige Tattoo – die Zeichnung kann eventuell sogar verwirrend farbvoll und unübersichtlich für das Kundenauge wirken. In erster Linie dient sie dem Tätowierer als Grundkonstrukt für ein Bild, welches er nunmal vor seinem inneren Auge hält. Allerdings ist die Ergänzung der Hautskizze mit Details im Tätowierprozess oft umso zufriedenstellender und erstaunlicher – übertroffene Erwartungen sind vorprogrammiert!

Maori Projekt by Ari

Letztenendes ist es immer ratsam, auf die Entscheidung eines Tätowierers einzugehen, ob ein im Vorhinein erstelltes Stencil oder eine Freehand-Zeichnung sinnvoller für das jeweilige Projekt ist. Umso mehr gilt hier jedoch: Ein BlIck ins Portfolio oder sogar ein persönliches Gespräch mit dem Tätowierer im Vorhinein sind durchaus lohnend. Doch auch Vertrauen kann sich auszahlen!

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *