JAPANESE TATTOO CULTURE

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Da stehe ich also am Flughafen von Nizza und fühle mich, als wäre ich gerade aus einem Actionfilm gefallen. Mein Flug nach München hat eine mehrstündige Verspätung, und ich bin gestresster als eine der riesigen Seemöwen, die einen Menschen gefunden haben, der ihnen Brotkrümmel zuwirft. Alle drauf aufs Futter! Doch dieses Feeling muss an mir liegen. In Wirklichkeit ist es hier am Flughafen Nizza ziemlich chillig.

Die meisten Menschen scheinen sich auf ihren Auftritt in Cannes oder Saint-Tropez vorzubereiten, überall exaltierte Kleider, breites Grinsen, und viel nackte Haut. So ging es mir bei meiner Ankunft vor einer Woche auch. Doch jetzt ist Rückflug, und ich bin unentspannt. Ein Pärchen neben mir schaut sich verliebt in die Augen und genießt Croissants, als ob sie das hier in einem romantischen Pariser Café tun würden. Ich hingegen gehe im Flughafen umher. Ich treffe auf eine Gruppe von Reisenden, die sich in Yoga-Posen versuchen, als ob der Flughafen die ideale Kulisse für Entspannung wäre. Ich schließe mich der Gruppe an, verstauche mir aber beinahe das Bein in einem Versuch, meine Zehen zu berühren. Offensichtlich bin ich für diesen Zen-Kram nicht gemacht. Oder?

Auf Maps sehe ich, dass sich am Flughafen, ein paar hundert Meter entfernt, das Museum für asiatische Kunst befindet. Würde mir ein bisschen Asien nicht doch guttun, jedenfalls ein Asien ohne Verrenkungen? Ja!

Es ist wie eine kleine Exkursion, ohne den Flughafen zu verlassen. Also wage ich mich ins Museum, bereit, in die Welt der fernöstlichen Künste einzutauchen.

Kaum betrete ich das Museum, fühle ich mich wie ein Tourist in Tokio. Überall sehe ich Kunstwerke, traditionelle Kleidung und, Überraschung, eine Sonderausstellung über japanische Tattoos! Ja, du hast richtig gehört, Tattoos – und das in einem Museum! Für den rasenden Reporter von Tattoo Anansi München ist das wie ein Geschenk des immersonnigen Himmels in Nizza.

Ich schaue mir die Ausstellung an und lerne, dass Tattoos in Japan eine lange Tradition haben. Hypothesen gehen von einem prähistorischen Ursprung der japanischen Tätowierung aus, indem sie Körperornamente in Markierungen erkennen, die sich auf Terrakottastatuetten vom Ende der Jōmon-Zeit (ca. 13.000–400 v. Chr.) befinden. Die älteste Textquelle, die ornamentale Tätowierungen in Japan erwähnt, stammt aus der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts und stammt aus China. Die Chroniken der Wei-Dynastie enthalten tatsächlich ein Kapitel über die „Barbaren des Ostens“, in dem Verzierungen auf den Gesichtern und Körpern des Wa-Volkes, also der Japaner, erwähnt werden.

Soviel zur Völkerverständigung. Ein paar Stunden später, im Flieger nach München, werde ich in der Zeitung lesen, dass die Regierung in China überlegt, Tattoos und unangemessene Kleidung zu verbieten. Gar nicht lustig! Den chinesischen Beamten würde ein Ausflug nach Saint-Tropez gut tun, dort, wo Lebensfreude überall am Körper sichtbar ist. In der bunten Ausstellung merke ich wiedermal, wieviel Kunst, Körper und Lebensfreude miteinander zu tun haben, und wie wichtig das für das Glück der Menschen ist. Dass Tattoos immer auch Zeichen für das Glück und die Freiheit jedes Einzelnen und unterdrückte Gruppen sind! Als Stütze des stillen Protests wird der Körper zum Ausdruck von Stärke und Mut für gewöhnliche Menschen. Dieses soziale Phänomen wurde dann Teil der Kultur des japanischen Tattoos. Das gilt auch für die Frauenpower: Japanische Frauen hatten den Brauch, sich von anderen Frauen die Umrisse ihrer Lippen oder Augenbrauen, aber auch der Unterarme und Handrücken tätowieren zu lassen. Dieser alte Tattoo-Stil hat eine geometrische Ästhetik, und enthält komplexe Musterkombinationen, insbesondere an den weiblichen Händen.

Die Kunst, die Präzision und die Geschichten hinter den Tätowierungen sind faszinierend. Jetzt will ich definitiv ein authentisches japanisches Tattoo.

Während ich durch die Ausstellung schlendere, muss ich über mein vorheriges Ich lachen, wie ich am Flughafen Nizza saß, und mich über die Verspätung ärgerte.

Schließlich kehre ich zum Flughafen zurück, immer noch grinsend über meine unerwartete kulturelle Reise. Und vielleicht hatte der Kirschblütenbaum auf dem Gemälde ein kleines Lächeln im Wind, als er hörte, dass mein Flug nach München in einer Viertelstunde losgehen kann. Manchmal bringt selbst eine Verspätung etwas Gutes mit sich – wie einen unerwarteten Ausflug in die Welt der Kirschblüten, Kimonos und Tattoos.

Text: Julian Bachmann

Grafik: Jonas Bachmann

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