Tattoo-Beurteilung: Zappen oder zoomen?

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Neulich fragte mich ein Bekannter, nachdem er gesehen hatte, wie ich durch das Instagram-Profil eines Tätowierers zappte, wie ich denn überhaupt erkennen könnte, ob der Tätowierer etwas taugt oder nicht. Ich hatte die Bilder ziemlich rasch überflogen, und das auch nur in der Übersicht, ohne die Fotos zu öffnen oder gar größer zu ziehen. Klar, auf Conventions mach ich das natürlich nicht so. Wenn ich da die Fotomappe eines Tätowierers durchblättere, mache ich das sogar betont langsam, weil ich finde, dass es unhöflich wirkt, durch das Portfolio zu blättern wie durch ein Daumenkino. Ich möchte ja, dass der Tätowierer sieht, dass ich seine Arbeiten entsprechend würdige und mir dafür Zeit nehme. Wirklich notwendig ist das langsame Blättern für mich allerdings nicht. Denn tatsächlich geht das ziemlich gut, Tattoos im Schnelldurchlauf und selbst bei geringer Größe zu beurteilen; man kann sogar schon bei Tattoo-Fotos in Thumbnail-Größe recht gut erkennen, ob der Tätowierer etwas kann oder nicht. Da ich berufsbedingt seit über fünfundzwanzig Jahren tagtäglich Tattoos sehe und beurteile, habe ich da zwar bestimmt mehr Routine als andere, aber ich glaube, es ist mit ein wenig Übung eigentlich für jeden möglich, schon auf den ersten Blick und selbst bei ziemlich kleinen Bildern zu sagen, ob ein näherer Blick sich lohnt oder nicht. Das Schlüsselwort ist hier, wie so oft bei Tattoos: Kontrast. Das kann man selbst bei Fotos in Briefmarkengröße sehen, sogar dann, wenn das Bild so klein ist, dass man das Motiv kaum erkennen kann; wenn es kontrastreich ist, dann lohnt es sich, das Bild aufzumachen und in groß anzuschauen. Wenn es aussieht wie Brei, dann sieht es eben auch dann noch aus wie Brei, wenn man das Bild anklickt und aufzieht – nur eben wie Brei in groß.

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Auch wenn ich bei Tattoo-Conventions in der Contest-Jury sitze, frage ich mich oft, was manche Jury-Kollegen oft minutenlang mit der Lupe in einem Black & Grey-Tattoo suchen, bei dem ich bereits aus ein paar Metern Entfernung sehen konnte, dass jeglicher Kontrast fehlt und dass der Tätowierer lediglich eine Graustufe  verwendet hat (die bei mittelmäßigen Tätowierern auch in der Regel viel zu hell ist und dazu auch noch oft ohne jegliche Logik in Bezug auf Lichteinfall gleichmäßig übers Tattoo verteilt wurde). Das sehe ich schon, wenn der Kandidat die Bühne heraufkommt, da muss ich kein Vergrößerungsglas herausholen. Da können meinetwegen die Linien noch unterm Mikroskop aussehen wie mit dem Laser gezogen – wenn das Tattoo nicht auf den ersten Blick schon wirkt, dann ist es auch nicht mehr entscheidend, ob man irgendwo noch einen Wackler in den Lines findet oder ob die supersauber sind. Wenn ich aber bereits dann, wenn sich der Kandidat der Bühne nähert, eine interessante Struktur mit deutlichen Kontrasten im Tattoo erkennen kann, weiß ich, dass sich ein näheres Hinschauen lohnt. So muss ein Tattoo funktionieren; auf die Distanz durch klare und ausgewogene Struktur sowie deutliche Kontraste Interesse wecken, aus der Nähe sollte sich dann technische Finesse und saubere Ausführung offenbaren. Ihr könnt das zuhause am Rechner einfach mal ausprobieren; sucht euch mal zwei Tattoo-Fotos aus der gleichen Kategorie, also zum Beispiel zwei Black & Grey Porträts oder zwei Tribal-Tattoos, wovon eines Spitzenqualität ist und das andere eher so Krabbelkiste bei Woolworth. Dann zieht beide Bilder auf dem Bildschirm nebeneinander in die gleiche Größe und entfernt euch so weit vom Computer, dass ihr das Motiv kaum noch erkennen könnt. Ihr werdet sehen; das qualitativ hochwertigere Bild wird auch dann noch besser und interessanter aussehen.

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Dirk Boris Rödel