Viktor&Rolf – das ICH als Accessoire

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Kürzlich begab ich mich auf eine Expedition in die modische Utopie der Kunsthalle München: die Viktor und Rolf Ausstellung. Dieses Ereignis reiht sich nahtlos in eine Serie von Manifestationen ein, die sowohl Mode als auch Kunst in einem Rausch der Kreativität zelebrieren. Früher habe ich bereits über die magischen Sphären von Jean Paul Gautier für das BerlinArtLink-Magazin und die kühnen Entwürfe von Thierry Mugler für das Anansi Magazin geschrieben. Jetzt also Viktor und Rolf. Und ich wurde angenehm überrascht.

HAUTE COUTURE: WO MODE ZU KUNST WIRD

Die beiden Maestros der Mode verweben ihre Kreationen mit einem unwiderstehlichen künstlerischen Charme. Sie zerlegen die traditionellen Dogmen der Kleidungsgestaltung in ihre Moleküle. Röcke, die plötzlich zur Rebellion aufrufen, andere, die seitlich ausbrechen. Jacken, die den Horizont der Schultern überschreiten und bis ins Reich der Gesichter reichen. Jedes Stück ist wie ein Kunstwerk, durchtränkt mit Accessoires und durchzogen von Slogans. Hier wird deutlich: Mode ist keine bloße Hülle, sondern ein Manifest der Selbstdefinition, eine Performance, in der wir uns der Welt präsentieren. Ein Aufschrei, dass mein Körper, alles, eine Bühne der Transformation ist. Eine Metapher, die eng mit dem Ritual des Tätowierens verbunden ist. Denn wie die Mode von Viktor und Rolf sind Tattoos nicht nur Hauttief, sondern tragen die Geschichte und Leidenschaft ihres Trägers unter der Oberfläche. Ihre Botschaft, ob visuell oder symbolisch, bleibt ein untrennbarer Teil des eigenen Wesens.

Bei einer Viktor und Rolf Soirée wimmelt es oft von tätowierten Sternen wie Mei Pang. Kleidung und Körper, Materialität und Konzeption verschmelzen in einer symbiotischen Beziehung. Und wie bei Tattoos setzen die beiden Designer die Kunst als Manifest ein: Es geht nicht immer um ästhetische Konventionen. Es geht um das Risiko, das, was man bereit ist, auszudrücken. Eine Entscheidung darüber, welche Identität man der Welt offenbaren möchte. Dies verbindet die Kunst von Viktor und Rolf auf wundersame Weise mit der Kunst des Tätowierens.

Das Juwel der Ausstellung ist zweifellos ein zartes, transparentes Latexkleid, das mit Tätowierungen bedruckt ist. Eine Ode an die Schönheit der Selbstgestaltung.

MODE UND KUNST AM KÖRPER

Viktor & Rolf dekonstruieren das Selbstverständliche auf unzählige Weisen – oft mit einem spielerischen und humorvollen Twist. Als sie 2005 in Mailand ihren Flagship-Store eröffneten, setzten sie nicht nur auf den Kopf, sondern verwandelten ihn in einen surrealen Modetraum. Stühle schwebten an der Decke über dem Parkettboden, während Kronleuchter wie Pflanzen aus dem Boden emporwuchsen. In der Münchener Ausstellung wird dieser verkehrte Kosmos in seiner ganzen Pracht wiederbelebt.

Wie die Körperkunst des Tätowierens arbeiten Viktor & Rolf mit Slogans, die sie als Störung im konservativen Modemärchen einsetzen. Provokationen sind ihre Spezialität, wie die kampflustigen Botschaften, die sie auf Ballkleider schreiben. “I’m not shy, I just don’t like you”, prangt auf einem ausladenden Kleid, das Distanz und Dominanz verkörpert.

DAS ICH ALS ACCESSOIRE

Auch Puppen spielen eine bedeutende Rolle im Œuvre von Viktor & Rolf. Wie der eigene Körper, der als Leinwand dient, können Puppen dazu dienen, gewagte Kreationen zu testen und in einem neuen Licht zu betrachten. Sie verkörpern das Ich als Accessoire auf faszinierende Weise.

In der Kunsthalle treten Puppen in verschiedenen Formen auf: von den klassischen Mannequins bis hin zu zarten Modellen aus Pappmaché und Porzellan, die eine Ära längst vergangener Tage beschwören. Mit echtem Menschenhaar ausstaffiert, präsentieren diese Miniaturen akribisch nachgebildete Versionen der extravaganten Kleidung. Jedes Detail von Frisur bis Schuhwerk, von Accessoires bis hin zu Stickereien, wird liebevoll rekonstruiert und zeugt von der kunstvollen Meisterschaft der Designer.

Für Enthusiasten auf der Suche nach neuen Tätowierungsinspirationen ist die Ausstellung in der Kunsthalle München ein wahrer Schatz.

Text: Julian Bachmann

Grafik: Jonas Bachmann

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