Herz oder Hirn? Eine ultrakurze Kulturgeschichte des Denkens und Fühlens

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Tattoo Lexikon • von Dirk-Boris Rödel

Herz oder Hirn, Bauch oder Kopf – damit meinen wir heute, ob eine Entscheidung eher emotional oder rational getroffen wird, wobei das Herz für Emotionen, der Kopf bzw. das Gehirn für die von Gefühlen befreite Überlegung steht.

Auch heute noch sagen wir, dass etwas »von Herzen kommt« wenn wir ausdrücken möchten, dass wir damit besonders liebe und tief empfundene Gefühle übermitteln möchten, obwohl wir heutzutage natürlich wissen, dass sowohl Vernunft oder Ratio wie auch Emotionen im Gehirn entstehen.

Tattoo von Tattoo AnansiDass das Herz als Sitz der Emotionen angesehen wird, beruht ganz einfach darauf, dass es sich bei starken Emotionen – egal ob Liebe, Angst, Wut oder Schreck – durch schnelleres und heftigeres Schlagen deutlich bemerkbar macht. Früher verwechselte man Ursache und Wirkung und konnte nicht erkennen, dass das Herz lediglich auf Gefühle reagiert, diese aber nicht selbst erschafft. Das Gehirn hingegen, in dem sämtliche gedankliche wie auch emotionale Prozesse entstehen, können wir nicht fühlen oder wahrnahmen.

Das führte beispielsweise im alten Ägypten dazu, dass das Gehirn als relativ unwichtig und verzichtbar angesehen wurde. Bei der Mumifizierung Verstorbener wurden sämtliche Eingeweide des Toten sorgsam aus dem Leib entnommen, mit verschiedenen Mitteln konserviert und in sogenannten Kanopen-Krügen zusammen mit dem Leichnam beigesetzt. Besondere Sorgfalt verwendete man auf die Mumifizierung des Herzens, das als Sitz des Denkens, des Fühlens, aber auch des Verstandes angesehen wurde.

Nach dem Tod, so glaubten die Ägypter, würde der Totengott Anubis das Herz des Verstorbenen wiegen; wenn es leicht wie eine Feder war, dann hatte der Mensch ein Leben ohne Sünde geführt und durfte im Jenseits weiter leben, war es aber schwer von Sünde, wurde das Herz von der krokodilköpfigen Göttin Ammit gefressen.

Das Hirn dagegen erschien den Ägyptern bei diesem Prozess offenbar vollkommen unwichtig; es wurde vor der Einbalsamierung einfach aus dem Schädel gekratzt und weggeworfen.

Dennoch erkannten auch sehr frühe Kulturen bereits Sinn und Funktion des Gehirns, wenn auch auf sehr rustikale Art und Weise. Bei Kämpfen und Schlachten kam es immer wieder zu Schädelverletzungen, die schwer, aber nicht tödlich waren. Drückten eingeschlagene Knochen dann auf bestimmte Hirnbereiche, kam es beim Verletzten zu Einschränkungen beispielsweise beim Sprechen oder in der Bewegungsfähigkeit. Wurden die Knochensplitter entfernt, besserten sich diese Fehlfunktionen oft, was zu der Erkenntnis führte, dass diese Fähigkeiten offenbar vom Gehirn gesteuert werden. Operationen, die Fehlfunktionen des Gehirns beheben sollten, wurden bereits in der Steinzeit vor unglaublichen 14.000 Jahren durchgeführt – und in den meisten Fällen haben die Patienten dies sogar überlebt!

Text: Dirk-Boris Rödel

Grafik: Jonas Bachmann

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