Kolumne:Tattoos auf Hals & Händen – auch für Anfänger oder nur für Profis?

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Kolumne von Dirk-Boris Rödel

»Hände, Hals und Gesicht erst, wenn woanders kein Platz mehr ist!« – das ist die Einstellung vieler Tätowierer zu Tattoos an Körperstellen, die sich nicht oder nur schwer verdecken lassen.

Ich bin da immer ein bisschen hin- und her gerissen.

Einerseits wird der Tätowierer damit natürlich einer gewissen Verantwortung gerade jungen Kunden gegenüber gerecht, die möglicherweise noch nicht umfassend abschätzen können, wie sich Tattoos auf Hals und Händen beispielsweise auf Job- und Wohnungssuche auswirken können. Oder wie nervig und manchmal auch belastend es sein kann, ständig auf seine Tattoos angequatscht zu werden. Nicht umsonst werden Hand-Tattoos auch »Job-Stopper« genannt, selbst heute noch, wo sichtbare Tätowierungen auch in Berufen nicht unüblich sind, wo sie vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen wären. Auch im Privatleben oder beispielsweise bei Konflikten mit der Justiz können ständig sichtbare Tattoos bei anderen immer noch Vorurteile triggern und sich unvorteilhaft auswirken – das ist schade und doof, aber es ist eben auch die gesellschaftliche Realität, in der wir leben. Und wenn Tätowierer da auch eine Verantwortung für ihre Kunden spüren und sie dahingehend sensibilisieren, ist das doch eine gute Sache.

Andrerseits könnte man diese Einschränkung von Tattoo-Artists, Hals, Gesicht und Hände nur bei »erfahrenen« Kunden zu tätowieren, auch als eine gewisse Bevormundung ansehen.

Als ich mich Ende der 80er Jahre zum ersten mal tätowieren ließ, war jedes Tattoo, egal an welcher Körperstelle, egal wie groß und egal welches Motiv, eine absolute Rebellion, es machte einen quasi auf Knopfdruck zum Außenseiter, Outlaw, Rebellen. Und rebellieren, gegen was auch immer, ist nun mal einfach wichtig im Prozess des erwachsen Werdens und war immer schon ein essentieller Bestandteil des modernen westlichen Tätowierens. Heute dagegen sind Tattoos aber so verbreitet, dass mit einem Drachen am Arm Rebellions-technisch kein Blumentopf mehr zu holen ist – was früher ungeheuerlich war, lässt heute keine Augenbraue mehr zucken.

Was also können junge Menschen heute noch tun, wenn sie rebellieren wollen? Da bleiben ja eigentlich nur noch gesellschaftliche »Don’ts« wie Hals- und Handtattoos. Und gerade die werden ihnen dann oft gerade von denjenigen verwehrt, die in ihrer Jugend nur einen heulenden Wolf auf dem Schulterblatt brauchten, um sich ein Bad Boy-Image zuzulegen.

Klar kann ein Hals-Tattoo mit 18 eine ziemlich dumme Entscheidung sein. Aber vielleicht gibt es auch sowas wie ein Recht darauf, dumme Entscheidungen zu treffen?

Was ich definitiv überhaupt nicht akzeptiere ist aber dieser Blödsinn, dass man sich Tattoos auf Hals, Händen und Gesicht »verdienen« müsste. Dass ein Tätowierer Kunden über die Nachteile solcher Tattoos aufklärt, dass er sie vielleicht auch nicht stechen möchte, weil er nicht verantwortlich dafür sein will, dass der Kunde später keinen Ausbildungsplatz bekommt – das kann ich alles nachvollziehen.

Aber diese Vorstellung, dass der Tätowierer sich anmaßt, darüber zu entscheiden, wer ein Hals-Tattoo »verdient«, dass er die Gunst einer solchen Tätowierung nur denjenigen angedeihen lässt, die bereits mit fuffzich anderen Tattoos ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis gestellt haben – ne, also wirklich, wie arrogant und überheblich kann man sein! Vielleicht entspricht es ja einfach der persönlichen Ästhetik eines Kunden, nur die Handrücken tätowiert zu haben und er mag an anderen Körperstellen gar keine Hautbilder? Wie kann man darüber urteilen? Ich find’s ein wenig überheblich, wenn Tattoo-Artists sich zum Richter darüber erheben, was andere haben dürfen und was nicht.

Aber ist ja nur meine eigene bescheidene Meinung und zum Glück gibt es heute ja genug Auswahl an Tätowieren und Studios, so dass wirklich jeder die Chance hat, das Tattoo zu bekommen, das er will und das ihm wichtig ist.

»I Say A Little Prayer«Text: Dirk-Boris Rödel

Grafik: Jonas Bachmann

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